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Thema: der "Beat Club" Mo März 15, 2010 2:02 pm
Der Beat-Club war die erste Musiksendung mit englischsprachigen Interpreten im deutschen Fernsehen (produziert von Radio Bremen), die zwischen 1965 und 1972 gesendet wurde. Sie war gleichzeitig die erste Musiksendung im deutschen Fernsehen, die speziell für Jugendliche geschaffen worden war. Erfordernis [Bearbeiten]
Die weitgehende Ignoranz des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Hinblick auf englischsprachige Pop-Musik führte zur Abwanderung der jugendlichen Zielgruppe der 14 bis 34-jährigen Zuhörer und Zuschauer zu Soldatensendern wie BFBS oder AFN (wo sie gleichzeitig ihre englischen Sprachkenntnisse festigen konnten), Radio Luxemburg oder Piratensendern. Ab 1960 – und verstärkt seit 1963 mit Aufkommen der Beatmusik – war das Interesse der deutschen Jugendlichen an der englischsprachigen Pop-Musik so stark gewachsen, dass es in der deutschen Hitparade deutlich ablesbar wurde.
Diesem Zeitgeist konnten sich die Fernsehmacher letztlich nicht mehr widersetzen und beauftragten Mitte 1965 Michael „Mike“ Leckebusch, damals in der Unterhaltungsredaktion bei Radio Bremen, und Gerhard „Gerd“ Augustin, einem ortsbekannten Bremer Discjockey, ein Konzept zu entwickeln. Augustin hatte seit Dezember 1963 als einer der ersten deutschen DJ's im Bremer "Twen Club" Erfahrungen sammeln können[1] [2].
Das Sendeformat war am Vorbild des amerikanischen American Bandstand orientiert, wo Interpreten Playback sangen und die Live-Atmosphäre durch tanzende Jugendliche hergestellt werden sollte. Dieses Format stieß bei vielen Erwachsenen damals auf absolutes Unverständnis und Ablehnung, während die Beatmusik längst den deutschen Markt erobert hatte und die Jugend das Hippiezeitalter und die Flower Power Generation favorisierte. Erstsendung [Bearbeiten]
Am 25. September 1965 wurde die erste Sendung live ausgestrahlt. Die Reaktion des älteren Publikums fürchtend, kündigte Wilhelm Wieben, der spätere Tagesschausprecher, die Livesendung mit tanzenden Jugendlichen und lauter Musik mit einer Vorwarnung für die Eltern an und bat um Verständnis für die Musik und die Jugend[3].
Durch die Sendung führte das Moderatorenpaar Uschi Nerke und Gerhard Augustin, der nur bis zur 8. Folge blieb. Das Format sah Liveauftritte vor Publikum, Einspielfilme bekannter Künstler und GoGo-Girls als Blickfang vor. Insgesamt waren für die erste Folge 150 Jugendliche aus dem "Twen Club" sowie Freunde und Bekannte von Mitarbeitern des Senders eingeladen. Die erste Folge konnte noch nicht den Anspruch auf erstklassige Popstars erheben und musste sich mit eher drittklassigen Interpreten begnügen. Es spielten die Bremer „Yankees“ (Opener der ersten Folge war „Halbstark“, gefolgt von 3 weiteren Songs in englisch), „The Liverbirds“ eine englische weibliche Rock-Band aus Liverpool, die als die erste Girlgroup der Welt gilt (3 Songs) und „John O'Hara & His Playboys“ (3 Songs)[4]. Die Sendung wurde von 16.45 Uhr bis 17.15 Uhr am Samstag ausgestrahlt. Weitere Folgen [Bearbeiten] Mood-Mosaic – A Touch of Velvet – A Sting of Brass
Neben der harschen Kritik durch Erwachsene gab es überwältigende Zustimmung von Jugendlichen zur ersten Folge. Schnell erreichte die Sendung in ganz Deutschland unter Jugendlichen Kultstatus. Die Eintrittskarten waren sehr begehrt und wurden über Bremen hinaus gehandelt. Die Nachfrage überstieg bei weitem die Saalkapazitäten. Es war zunächst für die Produzenten schwer, erstklassige englischsprachige Interpreten einzuladen. Das zeigte sich noch bis 4. Dezember 1965, als Sonny & Cher und Gerry & The Pacemakers gewonnen werden konnten. Auch der Erfolg der Lords wurde nicht ignoriert, sodass sie mit gleich 7 Titeln am 22. Januar 1966 vertreten waren. Als Titelmusik wurde zunächst „Rinky Dink“ von „Sounds Incorporated“ genutzt, sie wurde ab 13. Juli 1968 durch die mittlerweile legendäre Erkennungsmelodie „A Touch of Velvet – A Sting of Brass“ von der unbekannten Gruppe „The Mood Mosaic Featuring The Ladybirds“[5] ersetzt. Dieser Titel wird heute unter Sammlern als Rarität gehandelt.
Ab Folge 35 (14. September 1968) bis Folge 74 kam der WDR als mitproduzierender Partner hinzu, wobei die Sendezeit auf 60 Minuten ausgedehnt wurde. Ab Folge 51 (31. Januar 1970) wurde in Farbe gesendet, die GoGo-Girls hatten in Folge 55 (30. Mai 1970) ihren letzten Auftritt.
Bemerkenswert war Leckebuschs fernsehmäßige Umsetzung der Musik, die vom Einsatz visueller Effekte bis zur Grenze der damaligen technischen Möglichkeiten begleitet wurde. Besonders nach dem Einzug der Farbtechnik dominierten teilweise übertriebene psychedelische Bild- und Farbeffekte. Der Beat-Club war auch die erste Sendung im westdeutschen Fernsehen, die Jingles einsetzte. Moderatoren [Bearbeiten]
Die bekannteste Moderatorin war die attraktive Architekturstudentin Uschi Nerke. Bei den Männern folgte auf Gerd Augustin bereits ab 28. Mai 1966 Dave Lee Travis. Dieser hatte zuvor beim Piratensender Radio Caroline moderiert und wechselte nach Folge 45 (2. August 1969) zur BBC. Für die nächsten acht Folgen konnte Dave Dee von der Musikformation Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich gewonnen werden. Außerdem trat Eddi Vickers sporadisch in einigen Folgen auf.
Am 9. Dezember 1972 wurde die Sendung nach 83 Folgen eingestellt. Als Nachfolgesendung produzierte Radio Bremen den Musikladen, moderiert wiederum von Uschi Nerke, mit Manfred Sexauer an ihrer Seite. Beat-Club auf DVD [Bearbeiten]
Heute sind viele alte Aufnahmen des Beat-Clubs auf den Sendern VH1 und VH1 Classic zu sehen. Highlights der Sendungen wurden von der ARD auf DVD veröffentlicht (The Best of '65 bis The Best of '72). Neben international bekannten Stars wie Chuck Berry, Gerry & the Pacemakers, Jimi Hendrix, Deep Purple, Black Sabbath, Emerson, Lake and Palmer oder The Who traten auch Gruppen im Beat-Club auf, die heute nur noch durch diese Wiederveröffentlichungen in Erinnerung sind, wie die Yankees, The German Blue Flames oder The Phantoms.
Im März 2009 erschienen 3 DVD-Boxen mit jeweils 8 DVDs, die alle Beat-Club Sendungen in voller Länge enthalten. Es fehlen lediglich 2 „Best of“ Sendungen und eine Sendung in der ausschließlich Musikvideos gezeigt wurden. Es fehlt aber auch der extra Beat-Club mit Frank Zappa vom 6. Oktober 1968 mit dem Titel Lieder-Liches.
* the story of BEAT-CLUB Volume 1 (1965–1968) [8DVD Box] 2009
Beat-Club 1 (25. September 1965) – Beat-Club 35 (14. September 1968) – außer den Folgen 9 (Best of), 13 (nur Musikvideos) und 23 (Best of)
* the story of BEAT-CLUB Volume 2 (1968–1970) [8DVD Box] 2009
Beat-Club 36 (12. Oktober 1968) – Beat-Club 59 (26. September 1970)
* the story of BEAT-CLUB Volume 3 (1970–1972) [8DVD Box] 2009
Beat-Club 60 (24. Oktober 1970) – Beat-Club 83 (9. Dezember 1972)
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Thema: Als der "Beat-Club" Deutschland revolutionierte Mo März 15, 2010 3:41 pm
Fernsehgeschichte Als der "Beat-Club" Deutschland revolutionierte
Von Michael Pilz 1. März 2009, 18:00 Uhr
1965 startet die erste deutsche Popsendung: Im "Beat-Club" traten Stars wie Jimi Hendrix, die Bee Gees und The Who auf. Jetzt erscheinen alle "Beat-Club" -Folgen auf DVD. Die Sendung war eine Revolution der deutschen Jugend. In nur zwölf Jahren bastelte sie sich ein neues Bürgertum.
Ältere werden sich erinnern: Jugend galt einmal als biologisch-soziologische Idee. Am 25. September 1965 wurde vor der Jugend noch gewarnt. Der damals 30-jährige ARD-Ansager Wilhelm Wieben grüßte aus dem Fernsehen: "Guten Tag, liebe Beat-Freunde! Nun ist es endlich soweit. In wenigen Sekunden beginnt die erste Show im Deutschen Fernsehen, die nur für Euch gemacht ist. Sie aber, meine Damen und Herren, die sie Beat-Musik nicht mögen, bitten wir um Ihr Verständnis: Es ist eine Live-Sendung mit jungen Leuten, für junge Leute. Und nun geht's los!" Am Sonnabend, zur Kaffeezeit.
Los ging es nicht nur mit der Bremer Band The Yankees, die in US-Airforce-Uniformen "Halbstark" sang, umgeben von verhalten twistenden Studiogästen. Es ging mit dem Duzen los, dem Sturz der väterlichen Umschalthoheit und mit allem, was heute als "Achtundsechzig" durch die ideologischen Diskurse geistert. Lief das Fernsehen, lief der "Beat-Club". Blieb es dunkel, spiegelte sich darin auch eine Gesinnung. Damals war die ARD noch amtlich und das ZDF zu jung.
Wer es durch die verspätete Geburt verpasst hat, dass sich Pop und Fernsehen gegen die Verhältnisse verschwören konnten, weil es einiges zu sagen und tun gab, kann sich das nun durch die DVD beweisen lassen. Dass es früher Jung und Alt gab, ebenfalls. Der "Beat-Club", alle 83 Folgen, ist erschlossen. 24 DVDs, 4840 Minuten. Das wirkt viel in einer Zeit, die statt Musikfernsehen nur noch MySpace kennt. Aber es lohnt sich: Man versteht durch diese geradezu meditative Übung, wie es dazu kommen konnte. Wie sich die Musik, das Fernsehen und das Alter selbst abschafften.
Folge 18, Frühjahr 1967: Uschi Nerke meldet sich nicht aus dem Studio 3 in Bremen, sondern aus dem weniger gut besuchten "Marquee Club" in London. Dafür taucht im deutschen Wohnzimmer ein Alien auf. Ein grinsender Krieger, der seine Gitarre beißt, bis sie wie eine rollige Katze schreit. Nach Jimi Hendrix spielt The Who "My Generation", wo erklärt wird, dass man lieber tot als alt sein möchte. Instrumente werden nicht zertrümmert, aber fast.
Viel Fantasie ist nicht mehr nötig, um sich da noch vorzustellen, wie der "Beat-Club" die Familie vor dem Fernseher zurückgelassen hat. Begeistert, ratlos und empört. Im Mai vermitteln dann die Bee Gees, dass der Pop der Pubertät entwachsen ist und weiß, wogegen er zu protestieren hat. Die Bee Gees singen vom "New York Mining Desaster 1941", dazu tragen sie die Gehröcke der Puritaner. Uschi Nerke trägt im Sommer 1968 einen Afro auf dem Kopf und keinen nennenswerten Rocksaum mehr.
Nicht ohne Stolz veröffentlichen die Herausgeber der Edition die schönsten Zuschriften der frühen Jahre. Zuspruch gab es überschwänglich, wenn auch häufig anonym. Der Unmut äußerte sich noch mit Klarnamen und Anschrift, er sah sich im Recht und im Besitz der Macht: "Der 'Beat-Club' brachte es fertig, singende Affen vor der Mattscheibe zu präsentieren. Wie hoch war die Gage? Wurde sie in Bananen oder Erdnüssen ausgezahlt?" "Wenn ich schon 7,-- DM Fernsehgebühren entrichten muss ..." "Was sagt der Verantwortliche dazu?"
Mike Leckebusch von Radio Bremen und der Diskjockey Gerd Augustin hatten den "Beat-Club" konzipiert als "Star-Club" für alle. Uschi Nerke freute sich über den Nebenjob zum Studium. Später kamen Dave Lee Travis und Dave Lee ins Studio als vertrauensbildende Maßnahme. Das Logo war dem London Underground entlehnt. Der "Beat-Club" war die Antwort auf "Top of the Pops" und "Ready Steady Go", in Bremen wurde in der Regel sogar live gespielt.
"Top of the Pops" lief bis 2006. Die Sendung wurde von den Veteranen der BBC begraben, silberköpfigen Babyboomern, die in goldenen Raumanzügen mit Kim Wilde auftraten. Nie wieder Musikfernsehen. Nicht ganz zufällig hatten sich Pop und Fernsehen parallel entwickelt. Elvis wurde von Ed Sullivan erschaffen und die Beatles von den Kameras, vor denen Buddy Holly Playback sang.
Der Schauwert konnte nur noch sinken, nachdem David Bowie 1972 eines Samstagnachmittags der Menschheit via BBC erschienen war. In Deutschland lief der letzte "Beat-Club" 1972. Uschi Nerke moderierte danach den Musikladen mit Manfred Sexauer, der nur so hieß. Musik wurde von Hunden präsentiert, die mit Frank Zander sprachen, und von Affen, denen Otto Waalkes seine Stimme lieh. Es gab den Rockpalast als bierseligen Herrenabend.
1981 wurde das Musikfernsehen neu erfunden, MTV genannt, die Buggles sangen "Video Killed The Radio Star", und in der Tat erstrahlten Michael Jackson und Madonna erst im Videoclip. Es flackerte noch einmal auf. Aber die Nullerjahre heißen nicht umsonst so: Pop verlor nicht nur an ideellem Wert.
Die Video-Etats wurden gekürzt, und MTV folgte dem Rest des Fernsehens auf dem Weg zum Nullmedium. Es sendet heute ein Programm wie alle anderen, also für kindische Erwachsene jedes Alters. Auch Musik wird noch gelegentlich gespielt. Als Tonspur, weil man sich daran gewöhnt hat. Ehrgeiziger Pop ist noch im Internet zu hören und zu sehen. Manchmal scheint er etwas zu bedeuten.
Dass der "Beat-Club" in der Zielgruppe ab 14 und bis 20 zeitweise nur jeden vierten Deutschen nicht erreichte, klingt heute wie eine Quotensage. Es ging nicht nur um Musik. Es ging um junge, schwärmerische Menschen, die bis in die bayrische Provinz hinein erklärten, dass man neben Beatbands auch die Tagesaktualität verfolgen darf.
Mike Leckebusch dramatisierte 1968 einen Auftritt von The Nice, indem er zu "America" die passenden Bilder auf die Künstler warf: Vietnam und Kennedy und Martin Luther King. Die Musiker verschwanden zusehends hinter bizarren Projektionen und Effekten. Arthur Brown brachte zwar eine Römermaske mit und trug ein aufgemaltes Auge um den Nabel, wurde aber zusätzlich im Negativ gezeigt. Beschwerden kamen plötzlich von der Jugend.
Folge 51, Winter 1970: Pop und Fernsehen werden farbig. "Sauberer Bildschirm, sauberes Volk", scherzt Uschi Nerke. Es ist eine Zeit der Wende: "Tommy" von The Who, die Rockoper, feiert die Werkeinführung als TV-Premiere. Kraftwerk musizieren vor Verkehrskegeln als langhaarige Freaks. Chuck Berry, damals Mitte 40, wird als Zeitzeuge der Pop-Antike vorgeführt. Die Johnny-Cash-Show wird im "Beat-Club" übertragen.
Zwischen Fleetwood Mac und Mountain spielt das Bremer Studio Orchester eine Mozart-Symphonie. Die Bürgerkinder basteln sich ihr eigenes, neues Bürgertum. Am 9. Dezember 1972 widmet sich der letzte "Beat-Club" einem Jugendphänomen. Die Osmonds, eine Boy Group, bringt die Teenager wieder zum Kreischen. Uschi Nerke staunt und freut sich und sagt: "Es ist alles schon mal dagewesen. Tschüss." Ewige Jugend.
Die komplette Sammlung der 83 Folgen erscheint als "The Story of 'Beat-Club'" in drei Boxen mit je acht DVDs bei Studio Hamburg. Ab 13. März